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Wie geht es dir heute mit allem?

Mittlerweile weiß ich, sobald ich meinem Körper mal ein paar Wochen nicht zuhöre, krieg ich die Quittung. Höre ich auf ihn, ist alles soweit gut. Natürlich begleiten mich sehr viele unsichtbare Symptome, aber ich habe gelernt, damit umzugehen.

Wie sind die Reaktionen heute, wenn du erzählst, dass du vollverrentet bist? Hast du das Gefühl, es wird dir Verständnis entgegengebracht oder wünschst du dir mehr davon?

Ich würde mir mehr Bewusstsein in der Gesellschaft für dieses Thema wünschen. Wenn man mit Mitte 20 verrentet ist, bedeutet das nicht, dass man keine Lust auf Arbeit hat. Aber genau das bekomme ich immer wieder mal von Leuten zu hören. Manche denken, dass man lieber faul zuhause sitzt. Von meiner Familie und im Freundeskreis höre ich so etwas natürlich nicht, die kommen damit alle mittlerweile sehr gut klar, auch wenn es anfangs für sie ungewohnt war.

Gehst du mit deiner Erkrankung und damit verbundenen, manchmal schwierigen Themen offensiv um?

Ja. Seit 2018 habe ich angefangen, mein Leben auf Social Media sozusagen öffentlich zu machen – wie es mir mit meiner MS geht, was ich mache. Diese Offenheit tut mir gut und auch meinem Umfeld. Ich muss nicht mehr permanent alles erklären und die anderen verstehen mich besser. Aber wenn Leute nicht Bescheid wissen, gibt es immer wieder mal unangenehme Erlebnisse. Ich würde mir öfter wünschen, die Leute fragten zuerst und würden dann erst handeln und nicht vorschnell eine Meinung haben.

Maren, du hast eingangs von deinen Beschwerden gesprochen, wie haben sich diese im Verlauf deiner Erkrankung entwickelt?

Die Fatigue ist bei mir immer wieder sehr präsent. Das heißt, ich muss gegen die Müdigkeit ankämpfen und darauf achten, dass ich mir genug Ruhephasen gönne. Seit einiger Zeit begleitet mich ein extremer Nervenschmerz, der ebenfalls sehr viel Kraft kostet. Meine Feinmotorik ist leider auch nicht mehr die, die sie mal war, das merke ich beim Schreiben oder Handwerken extrem. Manchmal habe ich Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen. Ich versuche aber, dass mein Gegenüber davon wenig mitbekommt. Manchmal kommen Rollator oder Rollstuhl zum Einsatz, zum Beispiel im Sommer, wenn es sehr warm ist und meine Beine nicht so wollen wie ich oder wenn ich mal nicht so auf meinen Körper gehört habe. Auch meine Augen machen gelegentlich Probleme. Allgemein versuche ich aber, der Erkrankung so wenig Raum wie möglich zu geben.

Die MS hat deinen Lebensalltag stark verändert, seit dem Moment der Erstdiagnose und in den verschiedenen Krankheits- und Lebensphasen. Das ist auch für die Psyche nicht immer einfach. Hast du schon einmal psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen?

Mit der Erkrankung zu leben, fällt mir auch heute manchmal noch schwer. Ich sag mal so: Andere gehen ins Autohaus und suchen sich ihr neues Autos aus, ich gehe ins Sanitätshaus und suche mir einen geeigneten Rollstuhl aus. Lange Zeit dachte ich dennoch: Nichts kann so schlimm sein, dass es mich komplett runterzieht. Aber 2019 hatte ich einen ganz schlimmen Schub mit heftigsten Beschwerden. Beim MRT zeigte sich ein richtig massiver Herd im Stammhirn. Das war der Moment, wo ich das erste Mal in meinem Leben psychologische Hilfe in Anspruch genommen habe. Ich wollte mit jemandem sprechen, alles aufarbeiten. Es tat gut, dass mir jemand zugehört hat, für mich da war. Das hat mir auch allgemein geholfen, meinen Weg für mich zu finden, die Dinge immer wieder neu zu bewerten und für mich gut zu gestalten.

Konntest du etwas nachhaltig für dein Leben mitnehmen?

Ja, eine sehr gute Methode, die mir hilft, wenn mir mal wieder alles zu viel wird. Ich konzentriere mich dann auf drei Dinge (Sehen, Hören, Riechen), fokussiere mich darauf und wiederhole das fünfmal. Das praktiziere ich öfter. Es ist eine gute Methode, um Stress besser zu bewältigen.

Nimmst du auch andere Therapien in Anspruch?

Seit meiner Diagnose gehe ich zweimal wöchentlich zur Physiotherapie, die Ergotherapie gehört ebenfalls dazu. Wichtige Therapeuten sind für mich auch meine Tiere – ich mache sehr viel mit ihnen, bin draußen, bewege mich. Ich sag immer, meine Tiere sind Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Psychologen in einem.

Von welchen „Therapeut*innen“ sprechen wir genau?

Zwei Pferde, ein Hund, eine Stallkatze und mehrere Hühner, zudem bin ich viel in der Landwirtschaft.

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Das Leben mit MS kann nicht nur mit Familie und Freund*innen, sondern auch mit dem*der Partner*in eine Herausforderung sein. Themen wie Intimität und Sexualität können mit MS schwieriger sein. Wie gehst du damit um?

Genauso offen wie mit allen anderen Themen, die durch meine Erkrankung komplizierter sein können, also sehr offen. Wenn ich jemanden kennenlerne, falle ich sofort mit der Tür ins Haus, spreche meine MS aktiv an, noch bevor man sich näher kennenlernt. Damit komme ich sehr gut zurecht.

Damit nimmst du den Druck auf der psychischen Ebene für dich raus?

Genau. Manche Probleme ergeben sich dadurch gar nicht, weil ich mir diesen Druck nicht mache. Es bringt nichts, wenn ich etwas verheimliche und dann aber ein Problem entsteht, zum Beispiel mit dem Partner, weil ich einen Schub bekomme.

Hattest du vor deiner Diagnosestellung Träume oder Wünsche, von denen du sagst, die wirst du dir nicht erfüllen können? Oder denkst du eher, momentan schwierig, aber irgendwann werde ich das schaffen?

Klar gab es viele Träume und Wünsche. Solche, wo ich einen Haken hinter machen kann, weil es nie was werden wird, aber auch vieles, was ich einfach versuche mir zu erfüllen. Auch, weil ich mir und anderen beweisen will, dass ich sehr gut bin in dem, was ich tue, dass ich es kann, auch mit MS. Dazu entwickle ich einen gewissen Perfektionismus, vergrößere meine Hürden. Aber das ist manchmal schon anstrengend, aber diesen Druck mach ich mir eben.

Erfüllst du dir aktuell einen großen Wunsch?

Ich bilde meine beiden jungen Pferde ganz alleine und so aus, wie es für mich perfekt ist.

Hast du eine eigene, die Maren-Strategie, für dein Leben gefunden?

Ich mache, worauf ich Lust habe, tue, was mir guttut. Ich versuche, Stress aus dem Weg zu gehen und mein Leben so gut wie möglich zu genießen. Mein Leben ist nicht immer perfekt, ich gucke dann und schau, wie ich es ändern kann, damit es für mich perfekt wird.

Dein Lebensmotto?

Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen!

Eine gute Fee kommt – was wünschst du dir von ihr im Zusammenleben mit anderen Menschen, der Gesellschaft?

Dass die Menschen nicht mit Scheuklappen durch die Welt laufen, sondern offen für alles sind, dass sie mal nachfragen, warum, weshalb, wieso, dass Schwerbehinderte nicht am Rand der Gesellschaft stehen, sondern mittendrin, voll integriert.

Maren, wir danken dir für das sehr persönliche, emotionale und interessante Gespräch.